Zur Vorstellung des Finanzstandortberichtes 2012 erklärte Dr. Andreas Martin, Mitglied des Vorstandes des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, für das Dialogforum Finanzstandort Deutschland (DFD):
„Die Unsicherheiten an den Finanzmärkten hatten im Jahr 2011 angehalten. Zentrale marktbestimmende Themen waren die Staatsschuldenkrise in mehreren Ländern des Euroraums und die institutionellen Reformen der Währungsunion. In diesem schwierigen Umfeld hat der Finanzstandort Deutschland seine Widerstandsfähigkeit bewiesen. Doch auch in Zukunft bleiben die Herausforderungen groß: Die Euro-Schuldenkrise ist noch nicht zu Ende, anhaltend niedrige Zinsen prägen das makroökonomische Umfeld, und die Finanzplätze der aufstrebenden Volkswirtschaften gewinnen an Bedeutung. Im Finanzstandortbericht 2012 werden diese Herausforderungen in den Themenkapiteln näher untersucht.
Entscheidenden Anteil daran, dass 2011 im Ganzen gesehen die positiven Nachrichten am Finanzstandort Deutschland überwogen haben, hatte der konjunkturelle Rückenwind. Die Arbeitslosigkeit bewegt sich auf dem niedrigsten Stand seit Ende des Wiedervereinigungsbooms vor 20 Jahren, und das Wirtschaftswachstum fiel 2011 mit 3,0 Prozent wie bereits 2010 sehr dynamisch aus. So erreichte die gesamtwirtschaftliche Produktion bereits im Frühjahr vergangenen Jahres wieder ihren Stand von vor der Krise. Zum Jahresende geriet die Erholung zwar ins Stocken. Sie dürfte aber im Frühjahr dieses Jahres wieder leicht an Fahrt aufgenommen haben.
Vor diesem Hintergrund entwickelten sich die einzelnen Finanzmärkte überwiegend positiv. So hat sich bei den Erstversicherern der Trend einer stabilen Beitragsentwicklung fortgesetzt. Sowohl die Märkte für Krankenversicherungen als auch für Schadens- und Unfallversicherungen konnten mit Raten oberhalb der allgemeinen Preissteigerung expandieren. Die Entwicklung am Rückversicherungsmarkt war demgegenüber durch außergewöhnliche Belastungen aus schweren Naturkatastrophen geprägt.
An den Einlagenmärkten verliefen die Zuwächse in Deutschland entlang des längerfristigen Trends. Der europäische Kreditmarkt expandierte unter dem Einfluss der gedämpften Konjunktur und der Restrukturierung der Banken in zahlreichen Ländern des Währungsraums zögerlich. Während die Entwicklung der Kreditvolumina insbesondere in den Ländern Südeuropas zum Teil deutlich beeinträchtigt ist, liegen in Deutschland keine Hinweise auf eine Kreditklemme vor. Im Gegenteil: Im Verlauf des Jahres beschleunigte sich die Mittelbereitstellung an den Privatsektor. Gleichzeitig zeigen Banken- wie Unternehmensbefragungen, dass der Kreditzugang für Unternehmen in Deutschland insgesamt sehr gut ist.
An den übrigen Finanzierungsmärkten verlief das Jahr 2011 uneinheitlich. Auf den europäischen Verbriefungsmärkten konnte wieder ein maßvoller Anstieg des Emissionsvolumens verzeichnet werden, auch expandierten beispielsweise die Märkte für Aktien- und Zinsderivate. Unter dem Einfluss der Euro-Schuldenkrise und der damit verbundenen Unsicherheiten verzeichneten die Aktienmärkte hingegen bei einer erhöhten Volatilität Verluste. Schwierig war auch das Marktumfeld für die Investmentbranche. Auf dem Rentenmarkt kletterten die Kurse der deutschen Benchmark-Staatsanleihen auf Rekordhochs, die Spreads von Unternehmensanleihen weiteten sich allerdings deutlich aus.
Neben diesem kompakten Überblick über die Marktakteure und Marktsegmente nehmen die Themenkapitel des Finanzstandortberichts 2012 drei zentrale Entwicklungstrends, die die Perspektiven des Finanzstandorts Deutschland auch in den kommenden Jahren bestimmen werden, kritisch unter die Lupe: die Fortschritte bei der Bewältigung der Euro-Schuldenkrise, die potenziellen Auswirkungen langfristig niedriger Zinsen und die Veränderung der Topographie der globalen Finanzmärkte.
Bei der Bewältigung der Staatsschuldenkrise im Euroraum sind im Berichtsjahr wichtige Fortschritte erzielt worden. Mit dem Schuldenschnitt in Griechenland, der Vergrößerung und Flexibilisierung der Rettungsschirme, umfangreichen Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung und tief greifenden wirtschaftlichen Reformprogrammen sind die Stellhebel in den hochverschuldeten Ländern umgelegt worden.
Die Natur der Krise – hohe Leistungsbilanzdefizite und eine nicht nachhaltige Finanzpolitik – bringt es zwangsläufig mit sich, dass eine schnelle Rückkehr zur Normalität nicht zu erwarten sein wird. Die Bewältigung der Krise verlangt daher Geduld, wobei Rückschläge nicht ausgeschlossen werden können. Bleibt die Wirtschaftspolitik auf Kurs, wird auch auf den internationalen Finanzmärkten das Vertrauen wachsen, dass die Defizite mit der notwendigen Beharrlichkeit Schritt für Schritt zurückgeführt werden.
Mit dem Fiskalpakt ist die wirtschaftspolitische Integration noch enger geworden. Der Pakt wird zur vollen Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit beitragen. Die Zusammenarbeit in der Finanzpolitik sollte noch weiter entwickelt werden, um ein dauerhaft reibungsloses Funktionieren des Euro zu gewährleisten. Die höhere Integrationsgeschwindigkeit im Euroraum sollte dabei aber nicht den Zusammenhalt mit den übrigen EU-Staaten gefährden.
Die Europäische Zentralbank hat seit Beginn der Finanzkrise einen ganz erheblichen Beitrag zur Stabilisierung der Finanzmärkte, aber auch der Konjunktur geleistet. Verstärkt muss die Notenbank jetzt aber ein Auge darauf richten, dass die Sondermaßnahmen nicht im Dauerbetrieb fortgeführt werden, sondern schrittweise zurückgeführt werden, sobald die Situation dies zulässt.
Blieben die Zinsen längerfristig auf einem sehr niedrigen Niveau, sähen sich die Akteure an den Finanzmärkten vor gravierende Herausforderungen gestellt. Anhaltend günstige Finanzierungsbedingungen bieten Anreize, übermäßig Kredite aufzunehmen und tragen gleichzeitig zu einem liquiditätsgetriebenen Anstieg von Vermögenspreisen bei. Über beide Kanäle können die Risiken für die Finanzstabilität zunehmen. Zudem werden Fehllenkungen von Kapital in volkswirtschaftlich weniger effiziente Verwendungen wahrscheinlicher. Des Weiteren wird die für die Zukunftsvorsorge unentbehrliche Altersvorsorge der privaten Haushalte durch niedrige reale Renditen geschwächt.
Die zahlreichen negativen Auswirkungen dauerhaft niedriger Zinsen stellen nicht nur die Notenbank vor die Aufgabe, die Angemessenheit ihres geldpolitischen Kurses zu prüfen. Schließlich ist die sich gerade etablierende makroprudentielle Finanzaufsicht gefordert, im Fall sich abzeichnender Blasen an Vermögensmärkten geeignete Gegenmaßnahmen in die Wege zu leiten.
Während Europa stark mit der Bewältigung der Finanz- und der Staatsschuldenkrise beschäftigt ist, schreiten im Zuge des wirtschaftlichen Aufstiegs der Schwellenländer gravierende Veränderungen der Topographie der globalen Finanzmärkte voran. Noch befinden sich die finanziellen Vermögenswerte schwerpunktmäßig in den fortgeschrittenen Ländern. Dynamik und Wachstum konzentrieren sich inzwischen aber vornehmlich an den Finanzzentren in Asien, im Mittleren Osten und Lateinamerika. Dies gilt insbesondere für die Aktienmärkte, die vom Kapitalhunger und der auch grenzüberschreitenden Expansion erfolgreicher Unternehmen getrieben werden. Angesichts des hohen Kompetenzvorsprungs bietet diese Entwicklung für Deutschland und Europa als Finanzstandort durchaus Potenziale.
Von den Chancen der globalen Finanzmärkte kann der Finanzstandort Deutschland am besten profitieren, wenn es gelingt, eine global möglichst einheitliche und konsistente Regulierung der Finanzmärkte zu erreichen. Alleingänge, wie beispielsweise durch eine einseitige Einführung einer Transaktionssteuer, wären kontraproduktiv. Die politische Motivation einer Eindämmung unerwünschter Spekulation und einer Erhöhung der Stabilität der Finanzmärkte ist zu unterstützen, jedoch ist die Finanztransaktionssteuer nicht das geeignete Instrument, diese Ziele zu erreichen. Stattdessen ist damit zu rechnen, dass die negativen Effekte auf den Finanzstandort, aber auch direkt auf Bürger und Unternehmen deutlich überwiegen würden.“
Der Finanzstandortbericht 2012 wird vom DFD erarbeitet. Mitglieder sind Verbände der Deutschen Kreditwirtschaft, der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft sowie als Einzelinstitute die Allianz, die Bayerische Landesbank, die Commerzbank, die DekaBank, die Deutsche Bank, die Deutsche Börse, die Deutsche Postbank, die DZ BANK, die KfW und Morgan Stanley.
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